Jun.-Prof. Dr. Tina Asmussen

Tina Asmussen

Was bedeutet das Anthropozän für Sie?

Für mich ist das Anthropozän nicht nur eine geologische Markierung, sondern eine leistungsfähige interdisziplinäre Forschungsperspektive, durch die ich die miteinander verbundenen und sich gegenseitig bedingenden Beziehungen zwischen den Menschen und den ökologischen Systemen, die sie bewohnen und verändern, untersuche. Anstatt die vorherrschende Darstellung des Anthropozäns als ein Phänomen zu akzeptieren, das mit den Kernwaffentests in der Mitte des 20. Jahrhunderts, der großen Beschleunigung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und der Verbreitung von Industriechemikalien beginnt, halte ich es für produktiver, das Anthropozän als ein Phänomen zu verstehen, das langfristige Muster des vom Menschen verursachten Umweltwandels aufzeigt. Meine Forschungen zum vorindustriellen Bergbau haben mich davon überzeugt, dass wir den zeitlichen Rahmen des Anthropozäns erweitern müssen. Wenn ich die Auswirkungen des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bergbaus auf die Bodenverschmutzung oder die veränderten hydrologischen Systeme in Regionen wie dem Harz oder dem Oberrhein untersuche, sehe ich klare Belege dafür, dass das geologische Wirken des Menschen weit über das Industriezeitalter hinausreicht. In vielen Studien wird das Anthropozän als ein qualitativer Sprung dargestellt, der durch eine quantitative Zunahme des menschlichen Einflusses verursacht wird, gemessen durch Daten, die vorindustrielle mit modernen Werten vergleichen. Trotz der Belege, die diese Sichtweise stützen, besteht die Gefahr, dass sie zum Szientismus zurückkehrt. Als Historikerin betrachte ich menschliches geologisches Handeln nicht nur als Auswirkung mechanistischer Faktoren, sondern als eine Interaktion von Praktiken, Glaubenssystemen und Weltanschauungen.

Inwiefern spielt das Anthropozän eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Das Anthropozän ist für meine Forschungsmethodik und meinen Rahmen von zentraler Bedeutung geworden. Es hat mich dazu gebracht, einen Ansatz zu entwickeln, der die künstlichen Trennungen zwischen vormodernen und modernen Wissenssystemen, Praktiken und Weltanschauungen in Frage stellt. Wenn ich Bergbaulandschaften wie das Oberrheingebiet untersuche, untersuche ich das, was ich als „Extraktozän“ bezeichne - eine lange Geschichte des Bergbaus, der sowohl die Umwelt als auch den menschlichen Körper in einer Weise verändert hat, die bis heute anhält, wie etwa das toxische Erbe des mittelalterlichen Bergbaus entlang der Wiese bis nach Basel. Besonders faszinierend finde ich, wie die europäischen Gesellschaften der frühen Neuzeit innerhalb einer, wie ich es nenne, „kosmischen Ökologie“ agierten. Dieser Rahmen, der auf galenischen und hippokratischen Traditionen, Alchemie und Astrologie beruhte, fungierte als komplexe Erdsystemtheorie seiner Zeit. Es verband den menschlichen Körper (Mikrokosmos) mit dem Kosmos (Makrokosmos) durch die Theorien der vier Elemente und der Körpersäfte. Bergbaupraktiken und Umweltauswirkungen wurden in diesem integrierten Rahmen verstanden, in dem planetarische Einflüsse, materielle Qualitäten und körperliche Gesundheit untrennbar miteinander verbunden waren. Meine historische Arbeit leistet einen Beitrag zur aktuellen Anthropozän-Forschung, indem sie deren oft kompartimentierten Ansatz in Frage stellt. Während moderne wissenschaftliche Disziplinen die Geologie von der Medizin oder die Technologie von der Theologie trennen, zeigen historische Perspektiven, wie diese Bereiche einst als miteinander verbundene Aspekte eines einheitlichen Wissenssystems betrachtet wurden. Diese Einsicht hilft uns, die Grenzen rein technisch-wissenschaftlicher Lösungen für Umweltkrisen zu erkennen, und ermutigt zu integrativeren Ansätzen, die neben quantitativen Messungen der menschlichen Auswirkungen auch kulturelle Bedeutungen, ethische Dimensionen und unterschiedliche Wissenssysteme berücksichtigen.


An welchem Projekt/welchen Projekten arbeiten Sie während Ihres Stipendiums im Forum Basiliense?
Während meines Stipendiums entwickle ich mein Projekt „Toxic Heritage“, das ehemalige Bergbaulandschaften im Harz, in den Vogesen und im Schwarzwald als Orte untersucht, an denen Natur und Kultur seit Jahrhunderten untrennbar miteinander verwoben sind. Mein Projekt konzentriert sich auf giftige Rückstände als zentrales Element der Bergbaugeschichte. Während die Bergbaugeschichtsschreibung den Schwerpunkt auf technologische Innovationen und wirtschaftliche Entwicklungen gelegt hat, untersuche ich, wie giftige Nebenprodukte ein „anspruchsvolles Erbe“ geschaffen haben, das die Interaktionen zwischen Mensch und Natur über Jahrhunderte hinweg prägte. Die Gefängnisanlage Bässlergut in Basel ist ein Beispiel dafür - 2017 musste Aushubmaterial aufgrund mittelalterlicher Bergbaukontaminationen als Sondermüll behandelt werden. Mein Ansatz umfasst fünf Dimensionen: Landschaftswandel, veränderte Landnutzungsmuster, Schadstoffe als Wirkstoffe, historische Wahrnehmungen des Bergbaus und medizinische/alchemische Vorstellungen von Metallen. Durch die Verbindung dieser materiellen und kulturellen Dimensionen möchte ich ein differenziertes Verständnis dafür entwickeln, wie Gesellschaften in der Vergangenheit Umweltbelastungen wahrgenommen und bewältigt haben - Erkenntnisse, die uns helfen könnten, unsere eigene Beziehung zur Erde heute kritisch zu reflektieren.