Dr. Vanessa Lehmann

Dr. Vaneesa Lehmann-El Shalanky

Was bedeutet das Anthropozän für Sie?

Das Anthropozän ist das geologische Zeitalter des Menschen. Es ist das Zeitalter, in dem menschliches Handeln unseren Planeten und seine Atmosphäre nachhaltig verändert hat. Diese Erkenntnis hat uns - Forscher, Künstler, Aktivisten usw. - dazu veranlasst, eine ganze Reihe von Ideen und Annahmen zu überdenken; Ideen über uns Menschen, unsere Gesellschaften, unser soziales Leben und unsere Kulturen, die Beschaffenheit unserer natürlichen/materiellen/mehr-als-menschlichen Welt(en) und auch unsere wissenschaftlichen Kategorien. Es hat die Art und Weise verändert, wie wir wissenschaftlich forschen und sogar, wie wir in und auf die Umwelt einwirken. Für mich bietet das Anthropozän die Möglichkeit, unsere Verantwortung für das Leben mit und als Teil des Planeten Erde neu zu überdenken. Diese Verantwortung bedeutet, dass wir für unser Handeln Rechenschaft ablegen müssen, und sie birgt das Potenzial für neue Formen des Handelns. Mit dem Anthropozän zu denken ist daher eine Gelegenheit, sich wieder zu verbinden, sich zu versöhnen und zu heilen. Gleichzeitig haben Forscher verschiedener Disziplinen nachgewiesen, dass nicht alle Menschen und schon gar nicht die allgemeine Kategorie "der" Mensch als solche den Stoffwechsel des Planeten auf die gleiche Weise verändert haben. Vielmehr haben bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie Konzerne und imperialistische Regierungen durch enorme Gewalt, großflächigen Extraktivismus und die Unterwerfung von Menschen und Ökosystemen großen Reichtum erlangt. Im Anthropozän zu leben bedeutet daher auch, diese Ungerechtigkeiten anzuerkennen, Rechenschaft zu fordern und es kann ein Aufruf zum Handeln für gerechtere Lebensweisen sein.

Inwiefern spielt das Anthropozän in Ihrer Arbeit eine Rolle?

In meiner eigenen Arbeit spielt das Anthropozän eine ziemlich bedeutende Rolle für die Art und Weise, wie ich mich meinen Untersuchungsgegenständen nähere und mit ihnen umgehe. Das Anthropozän-Denken bietet mir eine kaleidoskopische Linse, durch die ich Verbindungen, Abhängigkeiten und das, was Karen Barad Intra-Aktionen genannt hat, sehen kann. Ich finde diesen Begriff von Barad sehr nützlich, um ein Thema kategorien- und maßstabsübergreifend zu bearbeiten, sowohl auf räumlicher als auch auf zeitlicher Ebene. In meinen Schriften und in meiner kuratorischen Arbeit bringe ich gerne Menschen und Ideen aus verschiedenen Denkrichtungen zusammen, seien es Architekten, Landwirte, Aktivisten, Bürokraten, Botaniker, Ökonomen, Ingenieure usw. Dies ermöglicht es uns, Themen wie den ökologischen Wandel auf komplexere Weise zu betrachten. In meiner Doktorarbeit habe ich zum Beispiel die Kapitalisierung der Wüste im Wüstenland Ägypten untersucht. Ägypten hat in den letzten vierzig Jahren einen massiven Bauboom erlebt. Dutzende von neuen, aus dem Boden gestampften Städten wurden an den trockenen Schwellen des Landes außerhalb des fruchtbaren Niltals auf und aus dem Wüstensand gebaut. Eines der Ziele meiner Forschung war es, besser zu verstehen, was diese Massenbauten in den Wüstenregionen Ägyptens antreibt Dazu musste ich mehr über die Komplexität des städtischen Bauwesens in Ägypten insgesamt erfahren, was auch bedeutete, dass ich mich mit den physischen Bedingungen des Bauprozesses, den beteiligten Arbeitskräften, dem Finanzsystem des Bauwesens und der Immobilienwirtschaft sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut machen musste. All diese verschiedenen Elemente ermöglichen die massenhafte Gewinnung von Ressourcen, Bauinfrastrukturen und den Verkauf von Grundstücken und Immobilien. Meine Herangehensweise an diese Untersuchung war sehr stark von Denkweisen geprägt, die sich auf innere Vorgänge beziehen. So habe ich beispielsweise einen Bauingenieur auf einer Baustelle in der Wüste begleitet, um mehr darüber zu erfahren, wie riesige Sandmengen bewegt werden. Außerdem absolvierte ich ein mehrmonatiges Praktikum in einem Architektur- und Forschungsbüro und befragte Baumaschinenanbieter sowie Hydrologen, Botaniker und Umweltforschungsgruppen zu den Bedingungen und Auswirkungen dieser groß angelegten Baumaßnahmen. Es folgten Gespräche mit Mitgliedern lokaler Beduinengruppen sowie mit Bankern, Immobilienmaklern und Gesetzgebern, um ein umfassenderes Bild von der Rolle der Bauindustrie auf dem lokalen Markt zu erhalten und zu sehen, wie sie buchstäblich in die lokale Wüstenumgebung eingebettet ist.

 

An welchem Projekt/welchen Projekten arbeiten Sie während Ihres Stipendiums im Forum Basiliense?

Während meines Aufenthalts in Basel werde ich an zwei Dingen arbeiten. Das eine ist die Fertigstellung eines Papiers, das ich zusammen mit meiner Kollegin Dr. Dalia Wahdan (American University in Cairo) verfasse. Dalia und ich befassen uns hier mit einem großen Landentwicklungsgeschäft an der ägyptischen Mittelmeerküste in Ras el Hekma. Der Arbeitstitel des Papiers lautet "The Investors' Shoreline: Zone, Finanzen und extraterritoriale Governance an Ägyptens Mittelmeerküste". Darin wird das geo-finanzielle Modell der Sonderwirtschaftszone am Beispiel dieses Zonenprojekts in Ägypten erörtert, bei dem der Staatsfonds von Abu Dhabi (ADQ) die Rechte für die Entwicklung und den Betrieb einer völlig neuen Küstenmetropole am Mittelmeer erworben hat. Der zweite Punkt, an dem ich in Basel arbeiten werde, ist ein Buchvorschlag für meine erste Monographie. Das Buch wird eine eingehende Untersuchung der kolonialen Kapitalbeziehungen und der, wie ich es nenne, intertemporalen Resonanzen des Wüstenextraktivismus in Ägypten sein. Das Buch wird Diskussionen über Landgewinnung, Wasserpolitik und Wüstenlandwirtschaft in Ägypten umfassen sowie einen tiefen Einblick in Ägyptens Bergbauindustrie und Wüstenurbanismus geben. Die Analyse wird zeigen, wie die heutigen extraktivistischen Missionen in Ägyptens Wüstengebieten konkret auf die britische Kolonialvergangenheit des Landes zurückgehen, in der Bürokraten, Militärs und Wissenschaftler mit Wissenschaft, Experimenten, extraktiven Praktiken und Polizeiarbeit in die Trockengebiete eingriffen.



Nach oben