Was bedeutet das Anthropozän für Sie?
Im Rahmen des kulturellen Erbes offenbart das Anthropozän ein Paradoxon: Während man sich bemüht, das Erbe alter Zivilisationen zu schützen, gefährdet die Dynamik der modernen Entwicklung und Umweltzerstörung ihr Überleben. Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel und die Ausbreitung der Städte noch verstärkt werden, sind keine Ausnahmeerscheinungen mehr, sondern zu einer ständigen Bedrohung geworden. Historische Belege zeigen jedoch, dass antike Gesellschaften den Umweltkräften nicht einfach erlegen sind. Sie beobachteten Umweltmuster, passten sich den veränderten Bedingungen an und entwickelten häufig nachhaltige Strategien zur Risikominderung, auch wenn diese Maßnahmen nicht immer erfolgreich waren. Das Anthropozän fordert daher einen neuen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es fordert uns auf, die Erkenntnisse über die Widerstandsfähigkeit früherer Kulturen in die heutigen Ansätze zum Schutz des kulturellen Erbes einfließen zu lassen. Diese Perspektive lädt dazu ein, Innovation neu zu überdenken, und legt nahe, dass sie nicht notwendigerweise auf Neuheit beruht, sondern oft auf der Wiedergewinnung von einstmals allgemeinem Wissen. Letztlich ist das Anthropozän sowohl eine Warnung als auch eine Chance: eine Erinnerung an die Auswirkungen der Menschheit auf den Planeten und eine Chance, unsere Rolle als Hüter der Umwelt und des kulturellen Gedächtnisses, das sie verkörpert, neu zu definieren.
Inwiefern spielt das Anthropozän eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Das Anthropozän spielt eine Schlüsselrolle in meiner Forschung, da es den Kontext der Dringlichkeit und Relevanz für die Untersuchung antiker Reaktionen auf Umweltrisiken definiert. Naturphänomene, die heute durch anthropogene Faktoren verstärkt und häufiger auftreten, stellen eine ständige Bedrohung für das kulturelle Erbe dar. Meine Untersuchung konzentriert sich auf die Art und Weise, wie antike Gesellschaften diese Bedrohungen interpretierten und damit umgingen, insbesondere durch Praktiken des Baus, der Instandhaltung und der Restaurierung von Gebäuden. Ziel ist es, archäologische Daten und literarische Quellen zu analysieren, um vormoderne Strategien der Risikovorhersage und -minderung zu rekonstruieren. In diesem Rahmen ist das Anthropozän nicht nur ein chronologischer Kontext, sondern vielmehr eine Perspektive, die es erlaubt, historische Lösungen in vergleichender und praktischer Hinsicht neu zu interpretieren. Bei entsprechender Kontextualisierung können solche Strategien dazu beitragen, nachhaltige Ansätze für das Risikomanagement und die Erhaltung des kulturellen Erbes zu definieren. Letztlich führt das Konzept des Anthropozäns die Forschung zu einer integrierten Perspektive, in der historisches Wissen keine Schlussfolgerung, sondern eine Grundlage für die Entwicklung von Strategien darstellt, die den heutigen Bedürfnissen gerecht werden.
An welchem Projekt/welchen Projekten arbeiten Sie während Ihres Stipendiums im Forum Basiliense?
Dieses Projekt zielt darauf ab, mit Hilfe historischer Quellen und archäologischer Daten die Lösungen zu erforschen, die im Laufe der Jahrhunderte zur Vorbeugung und Abschwächung von Naturgefahren, die dem Kulturerbe schaden könnten, angewandt wurden. Wenn man sich mit antiker Architektur befasst, ist es unerlässlich, zurückzublicken, um die Gründe für die Wahl der Materialien, Techniken und Strategien zu verstehen, die oft ein bemerkenswertes Bewusstsein für die Umweltbedingungen offenbaren. Die Untersuchung verläuft entlang dreier Hauptlinien der Analyse. Erstens geht es darum zu verstehen, welche Strategien in der Antike angewandt wurden, um Schäden durch Naturereignisse zu verhindern. Zweitens wird das Augenmerk auf die Praktiken der Instandhaltung, des Wiederaufbaus und der Restaurierung beschädigter Gebäude gerichtet. Schließlich wird versucht, aus einer diachronen Perspektive die langfristige Wirksamkeit dieser Lösungen und ihre Auswirkungen auf die Erhaltung des kulturellen Erbes zu bewerten. Die Analyse wird sich auf ausgewählte Fallstudien konzentrieren, die besonders anfällig und wiederkehrenden Naturgefahren ausgesetzt sind. Besonderes Augenmerk wird auf die Wiederholung solcher Ereignisse gelegt, die die Gebäude möglicherweise schon in der Antike betroffen haben und die heute, verstärkt durch den anthropozänen Kontext, ihre strukturelle Stabilität, archäologische Lesbarkeit und langfristige Erhaltung bedrohen. Ziel des Projekts ist es, im Laufe der Zeit zur Entwicklung wirksamer Methoden für die Risikobewertung von Kulturstätten beizutragen, die Integration multidisziplinärer Ansätze bei der Vorbeugung und Abschwächung von Degradationsprozessen zu fördern und die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für die Ausarbeitung von Protokollen und Leitlinien für eine sachkundigere und nachhaltige Erhaltung des historischen Erbes zu unterstützen.